Mit welchen Maßnahmen können Kinder von psychisch erkrankten Eltern in ihrer persönlichen Entwicklung und Integration in ihrem sozialen Umfeld unterstützt werden? Dieser zentralen Frage der psychischen Gesundheitsvorsorge widmet sich eine internationale und interdisziplinäre Forschungsgruppe – gegründet von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) in Kooperation mit der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (KL). Im Rahmen des Projektes „D.O.T. – Die offene Tür“ erarbeitet das Team unter der Leitung von Beate Schrank, Psychiaterin und leitende Oberärztin am Universitätsklinikum Tulln der KL, Maßnahmen zur positiven sozialen Integration der betroffenen Kinder zwischen neun und zwölf Jahren. In einem partizipativen Prozess mit VertreterInnen aus Schulen, PatientInnenorganisationen, Kliniken, Therapie- und Beratungszentren und dem Land Niederösterreich entwickeln die Forschenden innovative Maßnahmen zur Förderung wichtiger sozialer Kompetenzen bei Kindern und Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen. Anhand von Schulprogrammen zusammen mit digitalen, interaktiven Spielen soll für die betroffenen Kinder der Aufbau sozialer Netzwerke gefördert und der Übergang von der Volksschule in die Sekundarschule begleitet werden.
Die Forschungsgruppe, die sich im Zuge der Open-Innovation—in-Science-Initiative der LBG etabliert hat, ist an der KL als koordinierende Institution angesiedelt und wird sich aus voraussichtlich zwölf WissenschafterInnen zusammensetzen. Sie wird im Jänner 2018 in Niederösterreich als Modellregion ihre Arbeit aufnehmen. Das Gesamtvolumen für die Projektlaufzeit von vier Jahren sind drei Millionen Euro, die von der Österreichischen Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung und dem Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft stammen.
„Gute soziale Integration unter Gleichaltrigen ist ein wichtiger Faktor für die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Eine besonders herausfordernde Zeit für Kinder ist der Wechsel von der Volksschule in die Sekundarschule, da sie oft wichtige Bezugspersonen aus der Volksschule verlieren und abrupt in eine neue Umgebung kommen. Kinder von psychisch erkrankten Eltern sind hier besonders gefährdet den Anschluss zu verlieren, sich sozial zurückzuziehen und auch von MitschülerInnen ausgegrenzt zu werden. In dieser Zeit erfolgt oft die Weichenstellung für die künftige soziale und psychische Entwicklung. Mit dieser brisanten Übergangszeit werden wir uns in unserer Forschungsgruppe beschäftigen. Mit einer speziell entwickelten Kombination aus persönlicher Erfahrung in curriculumsübergreifenden Schulprogrammen, speziellen digitalen online Training-Spielen und einem intelligenten sozialen Netzwerk sollen die Kinder in dieser Phase unterstützt werden“, erklärt Beate Schrank als Motivation für die Einrichtung der Forschungsgruppe.
Digitales soziales Netzwerk mit regionaler Verankerung
Die zentrale Aufgabe der Forschungsgruppe rund um das Projekt D.O.T. liegt in der Entwicklung digitaler Technologien, die Spaß- und Trainingscharakter vereinen und Jugendliche dazu animieren, positive soziale Netzwerke zu bilden. Die Entwicklung erfolgt gemeinsam mit Kindern und unter Einbeziehung von deren Erziehungsberechtigten und weiteren ExpertInnen. Ein ganz wesentlicher Aspekt ist dabei die Verankerung in der Region und die möglichst starke Einbindung von Schulen, Kliniken, NGOs und der Öffentlichkeit. Die entwickelten Technologien werden, mit einer intelligenten sozialen Netzwerkfunktion verknüpft, für alle Kinder im Alter von neun bis zwölf Jahren offen und über Schulprojekte zugänglich sein. Dadurch wird sichergestellt, dass möglichst viele Kinder erreicht werden und sich jene, die psychisch erkrankte Eltern haben, mit anderen vernetzen. Nicht zuletzt soll damit eine Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen erreicht und präventiv die psychische Gesundheit und soziale Kompetenz aller Kinder und Jugendlichen unterstützt werden. Für das Projekt werden ethische Richtlinien sowie Schutzbestimmungen in Bezug auf Datenschutz und Mobbing ausgearbeitet. Auch dies stellt aufgrund der innovativen Kombination aus persönlicher und digitaler Intervention sowie Anwendungen aus dem Gebiet der künstlichen Intelligenz eine neuartige Herausforderung dar. Eine begleitende Evaluierung wird die digitalen Interventionen bewerten und ihren Mehrwert für die Zielgruppe feststellen.
Über die gesamte Laufzeit des Projekts hinweg werden Open-Innovation-in–Science-Methoden angewandt. Dabei wird der Forschungsprozess gezielt für die Öffentlichkeit geöffnet, um den Erkenntnisgewinn der Forschungsgruppe zu erhöhen. Das wissenschaftliche Team wird zu diesem Zweck auch entsprechend geschult, wie Open-Innovation-Methoden möglichst effizient und sinnvoll in der Wissenschaft einzusetzen sind.
Ideas Lab und Crowdsourcing-Initiative als Ideengeber für Gründung von D.O.T.
Die Auswahl des Themas „Gesundheit von Kindern mit psychisch erkrankten Eltern“ geht auf die Crowdsourcing-Initiative „Reden Sie mit!“ aus dem Jahr 2015 zurück, bei der Betroffene und ExpertInnen gezielt in die Entwicklung von Forschungsfragen einbezogen wurden. In weiterer Folge veranstaltete die LBG als weitere Open-Innovation-in-Science-Maßnahme im Mai 2017 ein fünftägiges Ideas Lab, bei dem WissenschafterInnen aus verschiedenen Disziplinen eingeladen wurden, gemeinsam ein Forschungsprogramm zu erarbeiten. In diesem innovativen Setting konnten neben den geladenen WissenschafterInnen aus mehreren Ländern auch Betroffene ihre Ideen einbringen. Aus dem Ideas Lab ging schließlich das Konzept für das Forschungsprojekt D.O.T hervor und Beate Schrank wurde mit der Leitung betraut. „Mit der Forschungsgruppe und ihrem Projekt D.O.T. ist die Ludwig Boltzmann Gesellschaft die erste in Europa, die Ergebnisse aus einem Crowdsourcing in konkrete Forschungsaktivitäten übersetzt. Mit D.O.T. bauen wir unser Engagement für neue Methoden in der Wissenschaft weiter aus“, betont Claudia Lingner, LBG-Geschäftsführerin. „Dieses interdisziplinäre und internationale Forschungsprojekt passt nicht nur optimal zur generellen Ausrichtung der KL als Wegbereiterin für innovative Lehr- und Forschungsfelder in den Gesundheitswissenschaften“, ergänzt Rudolf Mallinger, Rektor der KL. „Die inhaltliche Ausrichtung ist ein zentrales Thema im Rahmen unseres neuen Studien- und Forschungsbereichs Psychologie.“
Im Bild: Kernforschergruppe des Projektes „D.O.T. – Die offene Tür“