STUDIE ZU UKRAINE-KRIEG BESTÄTIGT WICHTIGE PSYCHOLOGISCHE THEORIE

Real-Life-Studie zur „Terror-Management-Theorie“ im Kriegsgebiet der Ukraine. Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften zeigt Wirkungen von Krieg auf geistige Gesundheit, somatische Symptome und Wohlbefinden.

Krems, 29. November 2023 – Ein theoretisches Konzept, wie Menschen mit der Gewissheit ihrer Sterblichkeit umgehen (Terror-Management-Theorie – TMT), wurde nun mit Daten aus einem akuten Kriegsgebiet evaluiert. Dazu lieferten hunderte Personen aus Kriegszonen der Ukraine persönliche Daten zu ihren Reaktionen auf Luftalarme, Explosionen, Strom- und Wasserknappheit und andere kriegsbedingte Stress-Situationen. Die nun veröffentlichten Real-Life-Daten, die u.a. an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (KL Krems) in Österreich ausgewertet wurden, bestätigen wichtige Aspekte der TMT. Festgestellt wurde aber auch, dass die Auswirkungen von Kriegserfahrung durch eine resiliente Persönlichkeit oder durch Gewöhnung nicht so stark abgemildert werden wie theoretisch angenommen.

Das Bewusstsein über ihre Endlichkeit macht Menschen Angst und bestimmt viele ihrer Handlungen. Auf dieser Grundannahme beruht die Terror-Management-Theorie (TMT – in der „Terror“ die Angst vor dem eigenen Tod bedeutet). Sie besagt, dass das Bewusstsein um die eigene Sterblichkeit Angst auslöst und das allgemeine Wohlbefinden beeinflusst. Weitere Annahmen sind, dass persönliche Charakterzüge (z. B. starkes Selbstwertgefühl) oder Umstände (Gewöhnung), diese psychologischen Auswirkungen abmildern. Fast alle Studien zur Evaluierung der TMT wurden bisher experimentell ausgeführt, indem Probandinnen und Probanden zur Auseinandersetzung mit ihrer Sterblichkeit angeregt wurden. Echte Real-Life-Daten fehlten weitestgehend. Ein Team des Departments Psychologie und Psychodynamik der KL Krems, Fachbereich Psychologische Methodenlehre, hat das nun mit Kolleginnen und Kollegen aus Salzburg und Kiew geändert und die Ergebnisse in Frontiers in Psychiatry veröffentlicht.

WISSENSCHAFTLICHE ERHEBUNGEN IN EINEM KRIEGSGEBIET

Dem Forschungsteam um Departmentleiter Univ.-Prof. Dr. Stefan Stieger gelang es, 307 Personen in kriegsbetroffenen Gebieten der Ukraine – inmitten des Krieges – für eine komplette Teilnahme an der Studie zu gewinnen. Diese füllten über vier Wochen täglich einen mittels App bereitgestellten Fragebogen zu geistiger Gesundheit, körperlichem Befinden, Stimmung sowie zu den Kriegsereignissen des jeweiligen Tages aus.

„Nach umfangreichen statistischen Auswertungen zeigten die Ergebnisse dann deutlich, dass die Kriegsereignisse sich am stärksten auf die Empfindung von Angst auswirkten“, erläutert Prof. Stieger. „Ebenfalls stark ausgeprägt war die Beeinträchtigung des Wohlbefindens. Es traten verstärkt psychosomatische Probleme auf. Diese Ergebnisse stehen in Einklang mit der TMT.“ Andere Aspekte der TMT hingegen ließen sich anhand der gewonnenen Daten nicht oder zumindest nicht im vorhergesagten Ausmaß bestätigen.

DIE ROLLE VON PERSÖNLICHKEIT UND GEWÖHNUNG

Die TMT postuliert, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und Gewöhnungseffekte helfen können, die Auswirkungen von „Terror“ abzupuffern. Nach der TMT wäre zu erwarten, dass die allgemeine Widerstandskraft, widrigen Umständen zu begegnen (Resilienz), dabei hilft die direkte Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit in einem Kriegsgebiet besser zu bewältigen. Zudem nimmt die TMT an, dass die andauernde Bedrohung für das eigene Leben mit einem Gewöhnungseffekt verbunden ist, der zu einer Verringerung der psychischen Belastung führt.

Dazu Prof. Stieger: „Die Auswertung unserer Daten zeigt jedoch keinen solchen Puffereffekt für die Resilienz von Personen. Auch für Gewöhnung konnten wir einen solchen nur in einem geringen Umfang nachweisen.“ Doch nicht „nur“ die TMT interessiert das Team. „In der aktuellen Studie haben wir uns mit den negativen Auswirkungen von Krieg beschäftigt,“ erläutert Prof. Stieger, „aber es gibt Theorien, die auch von positiven psychologischen Effekten durch Kriegserfahrungen ausgehen – allerdings erst in einer Nachkriegszeit.“ Tatsächlich postuliert die Post Traumatic Growth-Theorie (PTG), dass ein Überstehen traumatischer Kriegserlebnisse die Selbstwahrnehmung und das Bewusstsein über das eigene Können positiv beeinflusst und zu engeren Bindungen an Mitmenschen führt. „Es wäre wissenschaftlich wertvoll, diese Theorie auf den Prüfstand einer Nachkriegsgesellschaft zu stellen,“ meint Prof. Stieger dazu.

Insgesamt hat das Department Psychologie und Psychodynamik der KL Krems gemeinsam mit dem Psychologie-Department der Universität Salzburg und der entsprechenden Fakultät der Nationalen Universität Kiew mit der vorliegenden Studie zur TMT einen wichtigen Beitrag zu einer wichtigen psychologischen Theorie geleistet. Die Studie ist ein Beleg für die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit in der psychologischen Grundlagenforschung, wie sie von Professor Stieger und seinem Team an der KL Krems mit großem Erfolg betrieben wird.

Originalpublikation: https://kris.kl.ac.at/de/publications/examining-terror-management-theory-in-ukraine-impact-of-air-raid-