Abschiedsvorlesung von Univ.-Prof. Christoph Niemand.
Im Rahmen seiner Abschiedsvorlesung als Professor für neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Katholischen-Privat-Universität Linz unternahm Christoph Niemand am 27. Juni 2024 nuancierte Erkundungen der neutestamentlichen Grundlagen des Leitungsamtes in der katholischen Kirche und entwickelte daraus ein zukunftsweisendes Verständnis von Amtstheologie – mit substanziellen und weitreichenden Implikationen für die Fragen von Zulassungsbedingungen und Frauenordination.
Vizerektorin Klara-Antonia Csiszar hob einleitend hervor, dass Christoph Niemand in seinem 1995 beginnenden Wirken als Professor für neutestamentliche Bibelwissenschaft an der KU Linz und weit darüber hinaus einen wissenschaftlich hochkompetenten, dabei stets spannenden, leidenschaftlichen und verständlichen Zugang zum Neuen Testament eröffnet habe. Durch seine Funktionen als Studiendekan, Dekan, Vizerektor und seit 2020 als Rektor habe er die KU Linz maßgeblich mitgestaltet.
Mit sehr persönlichen Worten – die nicht nur Christoph Niemand selbst, sondern auch das Publikum zum Schmunzeln brachten – würdigte Magnus Cancellarius Bischof Manfred Scheuer in seinem Grußwort dessen Engagement und Leidenschaft: als Forscher, Hochschullehrer, Wissenschaftsmanager und im besten Sinne streitbarer und kämpferischer Verantwortungsträger „seiner“ KU Linz. Gegenwärtig seien es die neuen Wege und Möglichkeiten der Universität am zukünftigen „Campus für Bildung und Wissenschaft“ der Diözese Linz, die er als amtierender Rektor verantwortungsvoll mitgestalte. Bischof Scheuer sprach aber auch vom engagierten und wachen Christen, der in vielen kirchlichen Kontexten, in Dommusik und Dompfarre und auf diözesaner Ebene involviert sei.
Zahlreiche Kolleg:innen, Freund:innen und Wegbegleiter:innen aus Wissenschaft, Bildung, Kirche, Politik und Gesellschaft folgten der Einladung zu einem Abend, an dem er Überlegungen für die Zukunft des Leitungsamts in der Kirche präsentierte.
„Amtstheologie“ sei heute ein Befangenheits-, ja ein Tabuthema, mit diesem Befund eröffnete Christoph Niemand seinen Vortrag: Wer sie positiv betreibt, komme unter „Klerikalismusverdacht“; wer sich ihr kritisch widmet, stehe schnell im Widerspruch zum Lehramt. „Das Amtsverständnis rinnt uns aus“, lautete sein deutlicher Warnruf – denn die katholische Kirche brauche zwar weniger Klerikalismus, aber deswegen nicht weniger Amt.
Auf Basis seiner jahrzehntelangen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Fragenkomplex stellte er einen Ansatz für Amtstheologie vor, der die problematische Engführung der traditionellen Gründungserzählung für Weihe- und Leitungsämter erkennen ließ. Engagiert und leidenschaftlich arbeitete er heraus, wie Verabsolutierungen und unhistorische Auslegungen dazu geführt haben, die Potenziale der neutestamentlichen Überlieferung für eine zukunftsfähige Amtstheologie nicht wahrzunehmen. In einer eingehenden, auch religionswissenschaftlich ausgreifenden Analyse zeigt er, dass die von Jesus eingesetzten „Zwölf“ nicht identisch sind mit denen, die im Urchristentum dann „Apostel“ genannt werden. Theologisch und historisch liegen die Ursprünge und das Fundament des kirchlichen Leitungsamtes mehr im (nach)österlichen Apostolat und weniger in der „Berufung der Zwölf (Männer)“ durch den irdischen Jesus, wodurch die traditionell daraus gezogene Konsequenz, das Weiheamt sei nur Männern zugänglich, an Plausibilität verliert.
Den eigentlichen Ursprung des Amtes macht das Neue Testament vielmehr in der von den Aposteln vorgenommenen Einsetzung von Leitungspersonen in den frühen Gemeinden fest. Deren Aufgabe als Epískopoi (Bischöfe), Presbyter (Gemeindeälteste) oder Diakone (Diener) – letzteres waren in neutestamentlicher Zeit auch Frauen! – war es, angesichts eminenter innerer und äußerer Bedrohungen dafür Sorge zu tragen, dass die jeweilige Gemeinde in ihrer Identität als „ekklēsia des Herrn Jesus Christus“ überleben kann. Die heutige Kirche befindet sich wieder in einer vergleichbaren Situation – als zunehmend marginales Element in einer säkularen Gesellschaft.
Die Kirche, unterstrich Christoph Niemand nachdrücklich, ist eine apostolische Kirche: „Deshalb ist das Amt eine apostolische Setzung“. Ein darauf gründendes Verständnis der Amtstheologie führe daher auch über die bloße Frage der Frauenordination hinaus und berühre das Innerste des Selbstverständnisses von Kirche. Eine Aufgabe – und dieser will sich Niemand auch nach seiner Emeritierung verstärkt widmen – wird sein, das reiche Material des Neuen Testaments zu nutzen, um eine anspruchsvolle und prägnante Theologie der kirchlichen Leitungsämter zu formulieren.
Dass es sich dabei nicht um einen intellektuell-akademischen Nebenschauplatz handelt, sondern um eine der Zukunftsfragen einer synodal verfassten Kirche, wurde in Christoph Niemands eindringlichem Schlussstatement deutlich: „Wenn wir bei der Zulassung von Frauen zu Weiheämtern gar nicht weiterkommen, vertreiben wir ungezählt viele Menschen, die für Evangelium und Kirche ansprechbar wären. Und – wie man sieht – leidet das Sakrament des geweihten Leitungsamtes in der Kirche selbst Schaden!“
Univ.-Prof. Dr. Christoph Niemand
Geboren 1959 in Linz, Studium der Philosophie und Theologie an der römischen Benediktinerhochschule S. Anselmo, 1989 Promotion zum Doktor der Theologie, 1994 Habilitation für Neutestamentliche Bibelwissenschaft mit der Arbeit „Die Fußwaschung des Johannesevangeliums. Untersuchungen zu ihrer Entstehung und Überlieferung im Urchristentum“
Seit 1995 Professor für neutestamentliche Bibelwissenschaft an der heutigen KU Linz, daneben u.a. Studiendekan der Theologischen Fakultät (1998–2010), Vizerektor für Lehre und Forschung (2017–2021) und Dekan der Fakultät für Theologie (2017–2020). Seit Juli 2020 Rektor der KU Linz.
Christoph Niemand wird mit 30. September 2024 als Professor für neutestamentliche Bibelwissenschaft emeritiert.
Foto: Rektor Univ.-Prof. Dr. Christoph Niemand, Universitätsprofessor der neutestamentlichen Bibelwissenschaft an der KU Linz © KU Linz/Eder