„Respekt für Sexarbeiter:innen“ lautete der Titel der Fachtagung zum gesellschaftlichen und politischen Umgang mit Sexarbeit, die am 10. Oktober 2024 an der Katholischen Privat-Universität Linz (KU Linz) stattfand. Beleuchtet wurden ethische, sozialwissenschaftliche, juristische, kulturanthropologische und sozialprofessionelle Perspektiven.
Das Feld erotischer und sexueller Dienstleistungen, die Soziale Arbeit mit Sexarbeitenden sowie die politische Gestaltung dieses Tätigkeitsfeldes sind Gegenstand kontroverser politischer und gesellschaftlicher Debatten. Rund 150 Personen nahmen am 10. Oktober 2024 an einer Fachtagung des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften der KU Linz und der Caritas Oberösterreich / Fachberatungsstelle LENA für Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind oder waren teil, die zweierlei erreichen sollte: zum einen eine dringend nötige Versachlichung der Debatte, zum anderen eine stärkere Rücksicht auf die Stimme jener Personen, die in den verschiedenen Bereichen der Sexarbeit tätig sind. Dazu wurden wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und sozialprofessionelle Perspektiven einbezogen – und insbesondere die Stimmen von Sexarbeiter:innen selbst.
Christian Spieß (Institut für Christliche Sozialwissenschaften, KU Linz) betonte in seiner Einführung, dass der Begriff Respekt im Titel der Veranstaltung vor allem auf jenen Respekt ziele, den wir einander als Rechtssubjekte im liberalen Verfassungsstaat wechselseitig schulden. Er wies auf die Relevanz der Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis, speziell zwischen den Christlichen Sozialwissenschaften und der Caritas hin, was Marion Huber, Vorstandsmitglied der Caritas Oberösterreich, in ihrer Begrüßung noch einmal aufgriff und verstärkte. Soziallandesrates Wolfgang Hattmannsdorfer betonte Menschenwürde als zentrale politische Orientierung und erklärte, warum er ein „Sexkaufverbot“ nach schwedischem Modell ablehnt.
In einem ersten, wissenschaftlich geprägten Teil nahmen fünf Referentinnen aus sozialethischer, juristischer, auto-sozio-biographischer, politikwissenschaftlicher und kulturanthropologischer Perspektive Stellung zum Thema. Elisabeth Greif (Institut für Legal Gender Studies, JKU Linz) erläuterte juristische Dimensionen der Sexarbeit und erläuterte die Unterschiedlichkeit der Gesetzeslagen in der EU. Neuere rechtliche Entwicklungen machte sie am Beispiel einer Urteilsbegründung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte fest, die auf die Klage französischer Sexarbeiter:innen reagierte, dass ein Verbot des Sexkaufs ihre Menschenrechte verletzt. Katja Winkler (Institut für Christliche Sozialwissenschaften, KU Linz) brachte das Thema Respekt für Sexarbeiter:innen mit Repräsentationsfragen in Verbindung. Respekt bedeute, dass wir einander als Menschen individuelle Selbstbestimmung gegenseitig zuschreiben und somit alle ein „Recht auf Rechtfertigung“ (Rainer Forst) haben. Astrid W. (Obfrau des BSÖ, Wien) lieferte einen persönlichen Erfahrungsbericht über ihren Berufsalltag, der vor allem auch Einblick darüber gab, wie der Beruf der Sexarbeiter:in von Außenstehenden wahrgenommen wird. Helga Amesberger (ehemals Institut für Konfliktforschung, Wien) sprach aus politikwissenschaftlicher Perspektive über die Regulierung von Sexarbeit und welche Rolle dabei die sogenannte Moralpolitik – die sich übrigens nicht nur im Bereich der Sexarbeit findet – spielt. Das Kennzeichen von Moralpolitik sei, dass sie die Durchsetzung der eigenen Position und damit verbundener Werte über die konstruktive Lösung eines Problems stellt. Sabrina Stranzl (Universität Graz) stellte diskursive Figurierungen von Sexarbeit vor, wie jene des Opfers („victim“) und der glücklichen Hure („happy hooker“). Beide Figuren fungierten, obwohl sie gegensätzlich seien, in Debatten gleichermaßen als Gegenbilder zum „anständigen überlegenen weißen Eigenen“. Letztlich beherrschten solche Figurierungen die Öffentlichkeit, obwohl sie bloß bestimmte Vorstellungen bzw. Vorurteile über Sexarbeiter:innen wiedergeben und gerade kein genaueres Wissen über das Leben konkreter Personen.
Die anschließende Podiumsdiskussion wurde von Elke Welser, der Leiterin der Beratungsstelle LENA der Caritas Oberösterreich mit einem Statement eröffnet. Welser erklärte, dass die Soziale Arbeit der Fachberatungsstelle LENA einerseits konkrete Beratung und Hilfestellung für Personen leistet, die im Bereich der sexuellen und erotischen Dienstleistungen tätig sind und waren. Andererseits hat LENA auch einen anwaltschaftlichen Auftrag, nämlich die Repräsentation der Interessen ihrer Klient:innen in Zivilgesellschaft und Politik: „Respekt bedeutet Anerkennung der Würde und der Rechte jedes einzelnen Menschen. Im Kontext der Sexarbeit bedeutet dies, dass wir die Autonomie und die Entscheidungen derjenigen achten, die sich für diese Form der Arbeit entscheiden. Es bedeutet auch, dass wir die Rahmenbedingungen schaffen, unter denen Sexarbeiter:innen selbstbestimmt und sicher arbeiten können.“
Einen eigenen wichtigen Akzent setzte im dritten und letzten Teil der Tagung die Lesung von Texten aus Tagebüchern von Sexarbeiterinnen. Die Mitarbeiterinnen von LENA standen danach für ein Gespräch bereit. Durch die Texte wurde vor allem deutlich, welche vielfältigen Arbeitsformen und Arbeitsbedingungen es gibt, aber auch wie unterschiedlich die Erfahrungen im Beruflichen wie im Privaten sind und vor allem wie verschieden die Beurteilungen der eigenen Arbeit und der eigenen Lebenslage ausfallen.
Foto: Bild 1: Von links: Univ.-Prof. Dr. Christian Spieß (KU Linz), Mag.a Marion Huber (Caritas Oberösterreich), Ass.-Prof.in Dr.in Katja Winkler (KU Linz), Elke Welser (LENA), Soziallandesrat Dr. Wolfgang Hattmannsdorfer (Land Oberösterreich) © KU Linz / Hermine Eder